Professor Bitsch erklärt den Kunstgelenkersatz (Endoprothetik) des Knies
Hauptkategorien | Untergruppen | Drehbewegung (Rotation) | Verschiebebewegung vor und zurück (ant./post.-Translation) | Abwinkeln des Unterschenkels nach innen oder außen (varus/valgus) |
Ungekoppelte (mechanische Wechselwirkung über ein mehr oder weniger stabilisierend wirkendes Polyethyleninlay) | Kniegelenk-Teilprothese mit mobilem oder flachem Polyethyleninlay (Unikodyläre Schlittenprothese) | möglich | möglich | möglich |
Kreuzband erhaltende Oberflächenersatzprothese mit mobilem oder flachem Polyethyleninlay | möglich | möglich | möglich | |
Oberflächenersatzprothese mit hohem Formschluss des Polyethyleninlay (Conforming Condylar) | wenig | keine | möglich | |
Nach hinten stabilisierte (posterior stabilisierte) Knieprothese mit Zapfen im Polyethyleninlay | möglich | wenig | möglich | |
Knieprothese mit extra langem und stabilem Zapfen im Polyethyleninlay (Constrained Condylar) | wenig | keine | wenig | |
Gekoppelt (direkte mechanische Verbindung) | Rotierendes Scharniergelenk (Rotating Hinge) | möglich | keine | keine |
Scharniergelenk (Hinge) | keine | keine | keine |
Welche Arten des Kniegelenkersatzes gibt es?
Künstliche Kniegelenke können in unterschiedliche Kategorien eingeteilt werden, je nachdem welche der natürlichen Gelenkfunktionen vom Prothesensystem übernommen werden. Es wird unterschieden, in welchem Ausmaß die Prothese die verschiedenen Bewegungskomponenten zulässt oder durch mechanische Verbindungsemente zwischen Oberschenkel- und Unterschenkelprothese stabilisierend wirkt und damit Funktionen der Kniebänder übernimmt. Eine Übersicht darüber gibt die Tabelle. Weiterhin können diese Prothesen mit oder ohne Ersatz der Kniescheibenrückfläche implantiert werden.
Je mehr Bandfunktion und damit Stabilisierung von der Prothese übernommen werden muss, umso stabiler muss diese im Knochen verankert werden. Die überwiegende Mehrheit der Knieprothesen wird zementiert im Knochen verankert und es werden längere Prothesenstiele als zusätzliche Verankerungselemente bei höher gekoppelten Knieprothesen verwendet. Prothesen mit mobilen und nahezu querkraftfreien Polyethylen-Inlayn können demgegenüber auch zementfrei ausgeführt werden.

Eine Sonderform bildet die Patellofemorale Knieteilprothese, die nur das Nebengelenk zwischen Oberschenkelknochen (Femur) und Kniescheibe (Patella) ersetzt.
Von mir favorisiert und wann immer medizinisch möglich, werden Teilprothesen mit mobilem oder flachem Polyethylen-Inlay (Unikondyläre Schlittenprothesen) sowie Kreuzband erhaltende Oberflächenersatzprothesen mit mobilem oder flachem Polyethylen-Inlay implantiert. Diese können bei guter Knochenqualität auch zementfrei ausgeführt werden.




Wie häufig werden Knieprothesenimplantationen in Deutschland durchgeführt?
Im Jahr 2017 wurden im Deutschen Endoprothesenregister 112.734 Erstimplantationen am Kniegelenk dokumentiert. Fast die Hälfte der Patienten, bei denen eine endoprothetische Versorgung am Kniegelenk vorgenommen wurde, ist nach der Definition der WHO als adipös einzustufen und 8,8% der Patienten waren bei der Implantation jünger als 55 Jahre.
Im Jahr 2017 erfolgten 12,2 % der Implantationen am Kniegelenk mit einer einseitigen Schlittenprothese (unikondyläre Kniegelenksteilprothese). Diese Implantate konnten seit 2014 im Endoprothesenregister Deutschland (EPRD) drei Prozentpunkte hinzugewinnen.
Bei welchen Erkrankungen und Verletzungen erfolgt die Empfehlung zum Kniegelenkersatz?
Die meisten der oben genannten Knieerkrankungen können neben der (primären idiopathischen) Kniearthrose ohne erkennbaren Grund zur Ausbildung einer sekundären Arthrose führen und diese in ihrem Spätstadium zur Notwendigkeit der Implantation eines Kunstgelenkes führen.


Wann ist die Implantation eines künstlichen Kniegelenks sinnvoll und gibt es Alternativen?
Ein künstliches Kniegelenk macht in fortgeschrittenem Arthrose-Stadium Grad III oder IV nach Kellgren und Lawrence „Schweregrade“ der Arthrose Sinn, wenn ein unwiederbringlicher Knorpelverlust besteht und Formveränderungen zu biomechanischen Problemen führen. Weiterhin sollten folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
Sind alle diese Kriterien erfüllt, so handelt es sich beim künstlichen Kniegelenk um ein sicheres, zuverlässiges und langlebiges Operationsverfahren und in aller Regel gibt es deshalb keine bessere Alternative für Sie.
Was sind die wichtigsten Operationsschritte?

Einzelschritte
- Vorbereitung der Operation und Lagerung des Patienten
- Hautdesinfektion und chirurgische Abdeckung des Patienten
- Narkoseuntersuchung der betroffenen Extremität, um die vor der Operation bestehende Bewegungseinschränkungen und ungleiche Bandstabilität noch einmal ohne Gegenspannen des Patienten überprüfen zu können und die geplante Korrektur zu bestätigen
- Operativer Zugang zum Kniegelenk
- Eröffnen des Kniegelenkes, Entfernung der überstehenden knöchernen Anbauten (Osteophyten), Resektion der Menisken und des vorderen Kreuzbands
- Eröffnen des Markraums des Oberschenkelknochens (Femur), Korrektur der Beinachse, Durchführen des körperfernen (distalen) Sägeschnittes am Oberschenkelknochen
- Anlegen der Unterschenkelsägelehre (Tibia) unter Berücksichtigung der Neigung (Slope) des Schienbeinkopfes und Durchführung des Sägeschnittes am Schienbeinkopf
- Überprüfung der Beinachse, Bandspannung und Weite der Sägelücke in Beinstreckung (Streckspalt) mit speziellen Instrumenten
- Umlagerung des Patientenbeins in die Kniebeugung
- Messen der Größe der Gelenkfortsätze am Oberschenkel und Überprüfung der optimalen Oberschenkel-Prothesengröße
- Individuelle Ausrichtung der Drehung (Rotation) der Oberschenkel-Prothese unter Berücksichtigung der Bandspannung und des bestehenden Arthrosemusters
- Durchführung des vorderen (ventralen) und hinteren (dorsalen) Sägeschnittes am Oberschenkel sowie der gewinkelten Abkant-Sägeschnitte
- Überprüfung der Bandspannung und Weite der Sägelücke in Kniebeugung (Beugespalt) mit speziellen Instrumenten
- Messen der Größe der Gelenkfortsätze am Unterschenkel und Überprüfung der optimalen Prothesenrotation, Durchführung der Bohrungen für die Verankerungszapfen der Unterschenkel-Prothese
- Aufstecken von Probeprothesen auf den Knochen und Überprüfung der Beweglichkeit und Stabilität des Kniegelenkes sowie der Gleitbewegung der Kniescheibe
- Ersatz der Kniescheibenlauffläche bei entsprechender Arthrose und Beschwerden
- Röntgen-Durchleuchtungskontrolle
- Einbringen und Zementieren der originalen Implantate am Oberschenkel, Unterschenkel und ggf. der Kniescheibe
- Spülung des Kniegelenkes und Entfernung von Zementresten
- Überprüfung der Bandspannung und Stabilität des Kniegelenkes und Festlegung der optimalen Höhe des Polyethylen-Inlays mit einer Probe
- Fixierung des endgültigen Polyethylen-Inlays aus einem quervernetzten besonders abriebfesten und gleichzeitig schlagzähen Polyethylen
- Wundverschluss und Anlage eines Verbandes
- Begleitung des Patienten, Umlagerungen ins Bett und Überprüfung des Befindens im Aufwachraum
Welche Operationsmethode wird eingesetzt? Was versteht man unter einer modernen individuellen und bandgeführten Operationstechnik?

In Fachkreisen existiert eine kontrovers geführte Debatte darüber, mit welchen Techniken und Implantaten dieses Ziel am zuverlässigsten erreicht werden kann. Dies ist nicht zuletzt dem komplexen Aufbau des Kniegelenkes geschuldet mit individuell unterschiedlicher Gelenk-Geometrie und Bewegungsmustern. Zudem wird es erschwert durch die von der Arthrose verursachten Veränderungen wie z.B. Abweichungen der Beinachse und Bandstabilität.
Es ist deshalb besonders wichtig, jedes Kniegelenk vor der Operation genau zu analysieren, individuell zu korrigieren und möglichst genau und schonend zu operieren. Die bei der Operation notwendigen Korrekturschritte und operativen Einstellungen beeinflussen sich gegenseitig und haben dreidimensionale Auswirkungen auf die Bewegungskurve des Kniegelenkes. Nur genaue Kenntnisse dieser Zusammenhänge und die für Ihr Kniegelenk optimale Einstellung, unter Berücksichtigung der vor der Operation und ggf. auf der Gegenseite bestehenden Verhältnisse, führt zum vollen Erfolg der Knieprothesen-Implantation.
Ob diese Einstellungen mit einer für jeden Patienten individuell hergestellten Knieprothese, mit speziell für Sie hergestellten Säge-Schnittblöcken, computerunterstützt navigiert oder mit speziellen Instrumenten durchgeführt werden, hat bisher in der wissenschaftlichen Literatur noch keinen sicheren Vorteil und damit Durchbruch einer Methode erbracht.
Was versteht man unter Programmen für eine optimierte Genesung (Enhanced Recovery / Rapid Recovery / Care4Today)?

Es handelt sich um ein Maßnahmenpaket im Krankenhaus, das versucht die allgemeinen Komplikationen nach operativen Eingriffen zu minimieren, den Patienten möglichst wenig zu belasten, die Autonomie des Patienten zu erhalten und die Genesung zu beschleunigen.
Die Hauptbestandteile dieser Programme sind
- Die optimale Information, Schulung und Vorbereitung des Patienten
- Die minimalinvasive möglichst wenig belastende Operation
- Eine optimierte kombinierte (mutimodale) Schmerztherapie
- Eine intensivierte Rehabilitation und Physiotherapie
Insbesondere in unserem Haus geht es nicht darum Sie schneller zu entlassen, sondern den Krankenhausaufenthalt so angenehm und effektiv wie möglich für Sie und Ihre Gesundheit zu gestalten.
Sehr gerne können Sie bei uns auch über die „normale Verweildauer“ hinaus die Vorzüge unserer hervorragenden Stationspflege, unseres Rehabilitationsteams und der „Rundum-Sorglos Versorgung“ in der ATOS Klinik in Anspruch nehmen.
